Ludwig van Beethovens Schicksalssinfonie hat eigentlich seine Geliebte Gräfin Josephine Brunsvik komponiert. Das berühmte ta-ta-ta-taaa, welches die Sinfonie eröffnet, erinnert an ihre Kinder, die während des Komponierens unerbittlich an ihre Tür klopften und sie damit fast in den Wahnsinn trieben. Damit diese schockierende Information nicht an die Öffentlichkeit gelangt, haben Beethovens Nachfahren eine breit angelegte Medienkampagne gestartet, die bis heute unser Bild des grossen Komponisten prägt.
von Marco Amherd

 

Neugierig geworden? Diese kurze Geschichte habe ich mir nur ausgedacht. Sie ist erstunken und erlogen. Doch trotzdem bereitet sie uns ein kurzes Stimmungshoch und lässt uns Vermutungen anstellen. Der Mensch liebt Skandale und Verschwörungstheorien. Denn oftmals sind sie spannender als der Alltag. Das Neujahrskonzert des DAVOS FESTIVAL gewährt einen ersten Blick in die faszinierende Welt der falschen Annahmen, der unsicheren Urheberschaft und Fiktion. Auch in der Musik treten Legenden, fremde Federn und Horrorgeschichten häufiger auf, als man denkt.

Die Acht kleinen Präludien und Fugen gehören zum Standardrepertoire angehender Organistinnen und Organisten. So manche 15-Jährige hat sich damit auf der kalten Orgelbank abgemüht. Die kurzen Stücke entführen sanft in die klangliche Welt von Johann Sebastian Bach, ohne die technischen Anforderungen seiner grossen Werke zu stellen. Heutzutage geht die Musikwissenschaft jedoch davon aus, dass die Werke gar nicht aus seiner eigenen Feder, sondern von Schülern Bachs stammen. Dabei werden häufig die Namen von Johann Tobias Krebs und dessen Sohn Johann Ludwig Krebs genannt. Aber auch diese Urheberschaft ist aus stilistischen Gründen unwahrscheinlich. Der wahre Urheber wird wohl auch posthum nicht mehr zu Ruhm und Ehre gelangen. Vielleicht gerade deswegen versprühen diese Stücke einen Reiz, dem man sich nur schwer entziehen kann.

Der Mensch liebt Skandale und Verschwörungstheorien. Denn oftmals sind sie spannender als der Alltag.

Das Blechbläserquintett, bestehend aus zwei Trompeten, Horn, Posaune und Tuba, ist eine relativ junge Erfindung. In den Fünfzigerjahren wurde diese Besetzung vor allem in den USA populär. Ihre Wurzeln liegen jedoch in Europa. Ludwig Maurer und Victor Ewald gehören zu den Vätern dieser Bewegung. So viel zu den belegbaren Fakten. Hier beginnt nun eine Geschichte voller Spekulationen und Mutmassungen. Ludwig Maurer ist in Deutschland geboren, zog aber bereits mit 17 Jahren nach Russland und blieb dort für den Rest seines Lebens. Er hat zwar einiges für Blechbläserensemble geschrieben, jedoch nie spezifisch für Brass-Quintett. Victor Ewald hat hingegen tatsächlich für diese Besetzung komponiert. Doch in Frankreich gab es bereits Komponisten, die ihm zuvorkamen. Auch ist sein Brass Quintet No. 1 nicht das erste Quintett, das er schrieb.

Das KamBrass Quintet wurde 2017 in Barcelona gegründet. Die fünf Mitglieder haben allesamt an der Hochschule für Musik Catalunya studiert und führen ihre Ausbildung nun an der Hochschule für Musik Luzern weiter. In den letzten Jahren konnten sie zahlreiche Wettbewerbe gewinnen und fallen durch ihre ungewöhnlichen und spannend choreografierten Konzerte auf.

Mit den Werken von Pilar Jurado und Enrique Granados erklingen spanische Klangfarben im Davoser Neujahrskonzert. Die Komponistin Pilar Jurado bezieht sich in ihrem Stück La escalera de Jacob auf den Horrofilm Jacob’s Ladder von 1990, der mit verstörenden Bildern und mit extremen Zeitraffer-Sequenzen von menschlichen Bewegungen eine neue Art visuellen Schreckens ins Kino eingeführt und jüngere Regisseure beeinflusst hat.

Im letzten Stück des Abends lässt sich das KamBrass Quintet besonders vom diesjährigen Motto beeinflussen: Sie haben ein Stück des berühmten Meridian Arts Ensemble schlicht und einfach abgeschrieben.

 

Dieser Text erschien im DAVOS FESTIVAL Magazin 1/22.

Bild: KamBrass Quintet © Privat