Von Rebekka Bräm

Anlässlich des Internationalen Frauentags lud ein kleines Zürcher Kunstcafé zu einer Veranstaltung. Die zu 95 Prozent weiblichen Gäste zwischen 25 und 35 erwartete ein straffes Programm: ein Workshop zum Thema «Female Pleasure», eine Künstlerin, die über ihre im Nebenraum ausgestellten Werke spricht, die Performance einer Musikerin. Und – ganz zu Beginn – Face Yoga.

Beim Face Yoga, so wurde uns erklärt, geht es um Durchblutung, Nährstoffversorgung und Entspannung des Gesichts. Ich merkte allerdings schnell, dass sich unter dem Deckmantel von Self-Care und Wellness etwas ganz anderes versteckt: Hier soll in erster Linie dem Altern entgegengewirkt werden. Und siehe da. Die Instruktorin betonte nicht ohne Stolz, dass sie weder Botox noch Hyaluron verwende und erzählte von einer siebzigjährigen Bekannten, die super aussehe, weil sie zweimal täglich Face Yoga mache. Sie liess Sätze fallen wie: «I’m forty, but people always tell me how cute I look!» Jubelrufe aus dem Publikum.

Ich sah mich um und fragte mich, ob ich unter den Anwesenden die Einzige war, die sich an solchen Aussagen stösst. Abgesehen davon, dass es offenbar komplett normal geworden ist, sich Nervengift oder Mehrfachzucker unter die Haut spritzen zu lassen, wird hier die gesellschaftliche Forderung nach ewiger Jugend nicht etwa hinterfragt, sondern fleissig befeuert. Anstatt dem Anlass entsprechend zu vermitteln: «Wir sind gut so, wie wir sind», war die erste und damit tongebende Aussage des Abends: «Gemeinsam sagen wir dem Altern den Kampf an». Yay, sisterhood!

Ich war ziemlich erschöpft, als ich in dieser Nacht meine Haustüre aufschloss. Frau zu sein ist schon mit einem beachtlichen Aufwand verbunden. Immer wieder stehen wir vor der Wahl: Drei Minuten täglich investieren in Beine-Rasieren oder daran arbeiten, dass einem die Zucchettibeine egal werden? Sieben Minuten schminken (und ich spreche nicht von Make-up, das Spass macht oder das eigene Wesen unterstreicht, ich spreche von dieser Ich-bin-nicht-wirklich-geschminkt-aber-ungeschminkt-bin-ich-auch-nicht-Schminke) oder den Mitmenschen das nackte Gesicht zumuten? Und damit unzählige «Geht es dir nicht gut»-s weglächeln und sich fühlen, als komme man einer Verpflichtung nicht nach. Alle paar Wochen für 180 Franken die Haare färben oder akzeptieren, dass die grauen Strähnen immer sichtbarer werden? Und jetzt, mit 33 Jahren, offenbar auch: Fünf Minuten täglich Face Yoga oder im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen?

Alles in allem sprechen wir von 135 Minuten pro Woche, fünf Tagen pro Jahr, einem Jahr pro Leben. Ein Jahr Instandhaltungsarbeiten. Wem diese Freude bereiten, umso besser! Für alle anderen jedoch: Ein Jahr, das wir damit verbringen könnten, zu denken, zu wirken, Nobelpreise zu gewinnen.

Natürlich bin auch ich zum Coiffeur gerannt, als meine grauen Haare auch mit sorgfältig gewählten Scheiteln nicht länger kaschiert werden konnten. Aber bald wurde mir klar: Das löst kein Problem, das verschiebt es höchstens. Ich entschied mich für graue Strähnen und gegen den bis zu meinem Lebensende bestehenden und immer dringlicher werdenden Punkt auf meiner To-do-Liste. Der Preis dafür? Dumme Sprüche und eine leise Scham dafür, zu ergrauen, bevor ich überhaupt darüber nachgedacht habe, ein Kind in diese Welt zu setzen. Ich höre auch immer wieder Zuspruch, komme aber nicht umhin, die Komplimente zur Kernaussage «mutig!» umzudeuten. Das zeigt mir zum einen, dass ich cooler tue, als ich bin, und zum anderen, dass meine Entscheidung keineswegs normal ist.

Ein umso besserer Grund, diesen Einsatz zu leisten, sage ich mir, und im Angesicht meines langsam ergrauenden Spiegelbildes ruhig zu bleiben. Für die Gesellschaft, aber auch für mich: Meine Alterserscheinungen werden in den kommenden Jahren nur zunehmen, und was ich jetzt unterdrücke, wird mich später mit doppelter Wucht erfassen. An dieser Stelle eine Frage an all die Botox- und Hyaluron-Jüngerinnen: Habt ihr das wirklich zu Ende gedacht? Wenn ihr schon mit 33 nicht aussehen wollt wie 33, wieso sollte es euch mit 43 anders gehen? Freut ihr euch dann über «Ich hätte dich glatt zehn Jahre jünger geschätzt!»-Ausrufe, und reichen euch diese auch mit 53 noch?

Dies soll keineswegs ein persönlicher Angriff sein. Ich verstehe jede, die keine Nerven für das permanente patriarchalisch ausgelöste Unbehagen hat oder schlicht Freude an ihrem Erscheinungsbild. Ich allerdings versuche, das eingesparte Jahr anders zu nutzen und investiere es in Selbstakzeptanz, Gelassenheit und Dinge, die mir Freude machen. Face Yoga – das weiss ich jetzt – gehört nicht dazu.


Rebekka Bräm lebt in Winterthur. Nach Gesangsstudien in Luzern, Wien und Zürich ist sie heute in der Kulturkommunikation tätig und drückt sich lieber an der Feder als am Stimmband künstlerisch aus.