In den letzten Monaten hat sich viel getan: Das Festival 2024 wurde abgeschlossen, und die Vorbereitungen für die Jubiläumssaison 2025 laufen auf Hochtouren. Die Tage sind voller Aufgaben, Sitzungen und Projekte. Aus diesem Grunde hat sich eine kleine neue Tradition zwischen dem Intendanten und der Geschäftsführerin des Davos Festivals herausgebildet. Sie treffen sich, oft wirklich zu eher «nachtschlafender Stunde», um sich abzustimmen, Ideen zu entwickeln, sich über Inhalte und Strategien auszutauschen, und nicht selten auch, über Begriffe, philosophische und ethische Ansätze oder politische Fragen rund um das Festival zu philosophieren.
Wir haben einige, wie wir finden, spannende Fragen aus diesen Gesprächsrunden herausgegriffen und hier für Sie zusammengestellt, sodass so etwas wie zwei kleine Interviews entstanden sind.
Was für Musik hörst du privat?
Privat höre ich meistens die Musik, die ich gerade probe oder aufführe. So kann ich mich ganz in die Werke vertiefen und in die passende Stimmung versetzen. Da ich beruflich schon so viel Musik höre, bleibt kaum Raum für andere Höreindrücke in meiner Freizeit. Deshalb geniesse ich oft die Stille, die auf meine Gedanken eine reinigende Wirkung hat. Höchstens beim Sport greife ich auf kräftige Beats zurück, um den richtigen Rhythmus zu finden – dann darf es gerne etwas von Beyoncé oder Daft Punk sein.
Welche Sprache würdest du gerne lernen?
Es ist mein lang gehegter Traum, für ein paar Monate in Schweden zu leben und die Sprache vor Ort zu erlernen. Im Dirigierstudium haben wir oft skandinavische Werke musiziert, und die schwedische Sprache hat mich fasziniert. Sie hat eine gewisse Härte und Sanftheit zugleich und klingt immer nach Musik, fast wie meine Muttersprache, das Walliserdeutsche. Ich habe schon ein paar Mal begonnen, ein paar Brocken zu lernen, aber ein Aufenthalt wäre wohl die grösste Motivation, die Angelegenheit etwas ernsthafter anzugehen.
Bachs Musik galt im 18. Jahrhundert als altmodisch und wurde erst durch Mendelssohn wiederentdeckt. Ob sie in 500 Jahren noch zeitlos ist, lässt sich schwer vorhersagen. Bei den Menschenrechten hoffe ich jedoch sehr, dass sie für immer Bestand haben.
Wenn du eine Teegesellschaft mit historischen Persönlichkeiten ausrichten könntest: Wer dürfte auf deiner Gästeliste keinesfalls fehlen?
Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich mich überhaupt auf so eine Teegesellschaft einlassen würde. Viele historische Persönlichkeiten haben mich durch ihre Kompositionen, Ideen und Taten inspiriert, sodass in meinem Kopf ein idealisiertes Bild von ihnen entstanden ist – fast wie bei Romanfiguren. Eine reale Begegnung könnte diese Vorstellung wahrscheinlich kaum erfüllen. Deshalb ziehe ich es vor, mich mit meinen aktuellen Freundinnen und Freunden zu treffen und Johann Sebastian Bach, Simone de Beauvoir, Francis Poulenc oder Iris von Roten weiterhin in ihren Werken zu begegnen.
Du arbeitest ja in ganz verschiedenen Rollen: Intendant, Solist, Dirigent. Was sind die grossen Unterschiede und was die Gemeinsamkeiten bei diesen sehr unterschiedlichen Aufgabenfeldern?
Für mich überwiegen die Gemeinsamkeiten. Ich sehe mich nicht als Dirigent oder Intendant, sondern vielmehr als Kulturschaffenden, der seine Passion lebt. Es ist keine Rolle, die ich spiele, sondern ein Bei-mir-Sein. Ich liebe klassische Musik und möchte sie so vielen Menschen wie möglich nahebringen – mal als Dirigent, mal als Ermöglicher beim Davos Festival.
Eine Besonderheit des Davos Festivals ist, dass jede Saison unter einem Thema steht, das sich durch alle Konzerte, aber auch die Singwoche und das Neujahrskonzert zieht. Wie kommst du immer wieder auf diese Ideen? Was inspiriert dich?
Ich lese viel und interessiere mich für Philosophie. Die Ideen entstehen oft in Gesprächen mit Freund*innen, inspiriert durch Bücher oder Podcasts, die mich gerade beschäftigen. Es ist schwer zu sagen, wie genau sich ein Thema herauskristallisiert – irgendwann ist es einfach da, und ab einem gewissen Punkt wird es unverrückbar. Dann gibt es keinen Weg mehr zurück.
Ist die nächste Saison für Dich etwas Besonderes?
Das Davos Festival feiert sein 40-jähriges Jubiläum – eine unglaubliche Leistung! So viele Musiker*innen haben von dieser Plattform profitiert, und das Publikum erlebt seit vier Jahrzehnten einzigartige Programme. Es ist eine grosse Ehre, diese Jubiläumsausgabe zu gestalten. Das Thema Zeitlos passt perfekt, denn es wirft Fragen auf: Was hat sich in 40 Jahren verändert, was ist gleichgeblieben? Wie können wir den Gründungsgeist in die Zukunft tragen? Diese Herausforderungen motivieren mich, bewährte Konzepte zu hinterfragen und dankbar für diese Chance zu sein.
Das neue Thema der Saison ist Zeitlos: Was ist für dich persönlich zeitlos?
Für mich sind zeitlos vor allem universelle Werte wie die Würde des Menschen. Ich finde es schwer zu sagen, ob beispielsweise Bachs Musik oder Chanel Nr. 5 wirklich zeitlos sind. Der Geschmack wird sich auch in Zukunft verändern. Bachs Musik galt im 18. Jahrhundert als altmodisch und wurde erst durch Mendelssohn wiederentdeckt. Ob sie in 500 Jahren noch zeitlos ist, lässt sich schwer vorhersagen. Bei den Menschenrechten hoffe ich jedoch sehr, dass sie für immer Bestand haben.
Ist der Faktor Zeit etwas, das in deinem Leben eine grosse Rolle spielt?
Ich habe das Glück, dass die Zeit in meinem Leben oft stillsteht und gleichzeitig rast. In der Vorbereitung auf ein Projekt kann ich mich so in die Musik oder das Thema vertiefen, dass die Stunden verfliegen. Gleichzeitig fehlt mir manchmal die Zeit, um innezuhalten und das Geschehene zu reflektieren, ohne schon an die nächste Aufgabe zu denken. Bei Proben ist die Herausforderung, die Zeit gut zu takten, damit alles erledigt wird und niemand zu lange warten muss. Im Konzert selbst scheint die Zeit hingegen stillzustehen – die Musik bringt Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart.
Viele historische Persönlichkeiten haben mich durch ihre Kompositionen, Ideen und Taten inspiriert, sodass in meinem Kopf ein idealisiertes Bild von ihnen entstanden ist – fast wie bei Romanfiguren. Eine reale Begegnung könnte diese Vorstellung wahrscheinlich kaum erfüllen.
Ist Vergänglichkeit ein Thema, das dich beschäftigt?
Bisher hat mich das Thema nur am Rande beschäftigt, da die Zeit nach dem Studium vor allem eine Zeit des Aufstiegs war. Man wird älter, gewinnt aber an Erfahrung, Selbstbewusstsein und Kreativität. Ich bin mir der Vergänglichkeit meiner selbst und meiner Arbeit bewusst, aber bisher habe ich mich immer «richtig» in meiner Zeit gefühlt und glaube, dass es so weitergehen wird.
Wie wichtig ist bei einem Festival die «Chemie» unter den Musiker*innen?
Der respektvolle und wertschätzende Umgang unter den Musiker*innen ist für mich ein Schlüssel zum Erfolg unseres Festivals. Das Publikum spürt, ob diese sich respektvoll begegnen und gerne gemeinsam an einem Werk arbeiten. Ich achte bei der Auswahl darauf, dass unter den Young Artists ein Gemeinschaftsgefühl entstehen kann, das diesen Funken auch aufs Publikum überspringen lässt. Wenn sich die Musiker*innen nach dem Festival für die inspirierenden Begegnungen bedanken, ist das für mich das grösste Kompliment.