Ein besonderes Jahr

Von Marco Amherd

1986 muss ein inspirierendes Jahr gewesen sein – nicht nur, weil es als internationales Jahr des Friedens galt oder das Musée d’Orsay in Paris eröffnet wurde, sondern auch, weil herausragende Musikfestivals ins Leben gerufen wurden: das Davos Festival, das Schleswig-Holstein Musik Festival und das Open Air Gampel. In Gampel sass ich als Kind am Familiensonntag auf den Schultern meines Vaters und beobachtete fasziniert das bunte Treiben der johlenden Menschenmassen. In Davos hingegen ist ein Schultersitz selten nötig, um einen ungestörten Blick auf das Geschehen zu haben. Doch das musikalische Programm steht dem energiegeladenen Walliser Open Air in nichts nach – es ist ebenso frisch, wild und lebendig.

Vom Davos Festival hörte ich zum ersten Mal während meines Studiums in Zürich. Der Freund einer Kommilitonin sang im Festival-Kammerchor und schwärmte von Reto Bieris aussergewöhnlichen Konzertideen: Junge Musiker*innen, die an ungewöhnlichen Orten ein meist unbekanntes Repertoire aufführen. Keine Merkmale, die das Massenpublikum anziehen – doch genau das machte Davos für mich zu einem Mekka kreativer Ideen und zu einem perfekten Zusammenspiel von Natur und Musik. Einige Jahre später übernahm ich selbst die Leitung des Kammerchors und durfte das Festival aus der Perspektive eines Künstlers erleben. Und nun gestalte ich bereits meine sechste Ausgabe als Intendant.

Die ersten beiden Saisons waren von der Corona-Pandemie geprägt. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Festivals haben wir nie die Planung aufgegeben. Stattdessen passten wir unser Konzept laufend an und hielten – vielleicht etwas naiv, aber stets optimistisch – an der Überzeugung fest, dass gemeinsames Musizieren im Sommer wieder möglich sein würde. Mit viel Glück konnte das Davos Festival ohne Unterbrechung stattfinden. Es wirkte fast surreal, als vor einem Konzert die Polizei erschien, um unser Sicherheitskonzept zu überprüfen und die Abstände zwischen den Stuhlreihen nachzumessen. Doch gerade in diesen schwierigen Zeiten spürte ich besonders intensiv, wie existenziell Musik und gemeinsames Erleben für das Publikum und die Künstler*innen sind. Die Bühne ist kein Ort der Selbstdarstellung, sondern ein Raum, in dem das Innere nach aussen gekehrt wird. Dabei entsteht eine intime Verletzlichkeit, die Mut erfordert – ein Mut, der jedoch reich belohnt wird.

Manchmal möchte man sich als Publikum einfach dem Wohlklang hingeben, geniessen und entspannen. Doch Musik kann mehr, sie dringt tief in unser Innerstes ein. Sie spricht dunkle Gefühle an, Ängste und Sorgen. Sie kann Trost spenden oder aufrütteln, uns berühren oder verstören.

Vielleicht klingt das ein wenig pathetisch: die Idee, dass Musik Leben verändern kann. Doch als Intendant, Zuhörer und Musiker möchte ich diesen Glauben nicht aufgeben. Denn Musik ist nicht nur schön – sie regt zum Träumen an, öffnet neue Perspektiven und kann, im Kleinen wie im Grossen, etwas bewirken. In Davos tut sie das seit vierzig Jahren.

Im Vorfeld des diesjährigen Davos Festivals habe ich einige Menschen befragt, die das Festival in den letzten Jahren geprägt und mitgestaltet haben.